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Bremer „Landeskinderregelung“ verfassungswidrig: Forderung nach automatischer Rückzahlung

    Pressemitteilung  01 / 2013
    Zur Klage gegen die Bremen „Landeskinderregelung“

Heute morgen hat das BVerfG mit Beschluss vom 8. Mai die Bremer „Landeskinderregelung“ für verfassungswidrig erklärt. Nach ihr mußten Studierende in Bremen 500 € Studiengebühren zahlen, wenn sie außerhalb der Hansestadt wohnten. Der von LiSA (Liste der StudiengangsAktiven) getragene Uni-AStA hatte bereits im Jahr 2005 ein Klageverfahren gegen diese Ungleichbehandlung angestrengt. „Nun ist der Weg frei für eine Rückzahlung der verfassungswidrig eingetriebenen Gebühren“, kommentiert Mathias Chrzan von LiSA den heutigen Beschluss, der den Gebühren den Charakter eines zwangsweise eingetriebenen Kredits verleiht. „Wir erwarten, daß Bremen freiwillig das Geld automatisch und zeitnah an sämtliche Betroffenen zurückzahlt, samt Zinsen. Alles andere wäre der nun geklärten Rechtslage nicht angemessen.“

Die Regelung im einzelnen
Nach der großen bundesweiten studentischen Streikwelle gegen die Einführung von Studiengebühren im Winter 2003/2004 brachte die im Land Bremen regierende große Koalition im Jahr 2005 ihr Studienkontengesetz auf den Weg. Es sah für alle Studierenden mit Wohnsitz in Bremen Langzeitstudiengebühren ab dem 15 Semester vor. Studierende mit Wohnsitz außerhalb Bremens sollten jedoch schon ab dem dritten Semester 500 € zahlen müssen. Willy Lemke, damals Wissenschaftssenator, begründete, daß Bremen nicht studiengebührenfrei bleiben könne, wenn andere norddeutsche Bundesländer diese einführten. Die „Landeskinderregelung“ sollte dem Zustrom auswärtiger Studierender an Bremens Hochschulen einen Riegel vorschieben. Tatsächlich dachte der Bremer Senat vor allem haushaltspolitisch. Die naheliegende Umgehung der „Landeskinderregelung“ durch eine Wohnsitzmeldung in Bremen brachte dem Land über den Länderfinanzausgleich pro Person jährlich 3000 € ein. Man versprach sich also eigentlich einen weitaus größeren allgemeinen „Lenkungseffekt“ hinein in den klammen Landeshaushalt.

Mit der Einführung der „Landeskinderregelung“ reichte jedoch auch der von LiSA angeführte Uni-AStA Klage gegen das Gesetz beim Bremer Verwaltungsgericht (VWG) ein. Den Verwaltungsrichtern war das Machwerk der Bremer Sozialdemokrat_innen verfassungsrechtlich so ungeheuer, daß sie es im September 2007, mehrere Instanzen überspringend, dem BVerfG zur Prüfung vorlegten. Bereits im Jahr zuvor hatte die Universität Bremen den Einzug der Gebühren ausgesetzt. Sie befürchtete, andernfalls mit späteren Rückzahlungen überfordert zu sein. Im Jahr 2010 machte dann die Bremer Landesregierung dem Spuk selbst ein vorzeitig Ende. Sie glaubte selbst nicht mehr an die Rechtmäßigkeit ihrer „Landeskinderregelung“ und strich sie wieder aus dem Gesetz. Nach dem Beschluss des BVerfG geht es deshalb vor allem darum, wie die 270500 €, die das Land über seine Hochschulen von auswärtigen Studierenden eingezogen hat, an die Betroffenen zurückfließen können. Das dafür in der Vergangenheit Rücklagen gebildet wurden, ist ein offenes Geheimnis.

Bundesweite Bedeutung erhielt das Klageverfahren, weil es den Handlungsrahmen aller Bundesländer berührte und etwa Rheinland-Pfalz 2007, eine vergleichbare Regelung wegen des Bremer Rechtsstreits auf Eis legte. Noch größere Relevanz bekam es, als das BVerfG ankündigte, sich in seiner Beurteilung das erste Mal seit dem 26. Januar 2005 auch zur generellen Rechtmäßigkeit von Studiengebühren äußern zu wollen.

Zur generellen Rechtmäßigkeit von Studiengebühren
Wie schon bei seinem Urteil aus dem Jahr 2005 verhöhnt das BVerfG die Lebensrealität der Studierenden. Die Richter_innen halten Studiengebühren für grundsätzlich zulässig, wenn sie nicht von der Aufnahme eines Studiums abschrecken und gleichzeitig sozialverträglich ausgestaltet seien. Das dies selbst in sich eine Farce ist, gestehen sie selber ein, wenn sie die Position einnehmen, daß „natürlich“ nicht alle finanziellen Nachteile ausgeglichen werden müßten. Für sie reicht es bereits, daß unzählige Banken junge Menschen als neue Zielgruppe für sogenannte Studienkredite ins Visier genommen haben. Den höchsten Richter_innen Deutschlands lassen sich hier in der dümmlichen Paradoxie vom „sozialverträglichen Schulden machen“ ertappen.

Darüber hinaus bleiben sie auch bei ihrer Ansicht, daß 500 € pro Semester für Studierende – die sie selbst auf Hartz-4 Niveau ansiedeln – zwar deutlich spürbar, aber dennoch irrelevant seien. Eine weitere Schizophrenie. Daß die Gebühren keine Auswirkung auf das Studienverhalten haben, wenn die Gebühren 10-20 % der Kosten ausmachen, lässt sich wissenschaftlich seriös nicht begründen. All diejenigen, die ein Studium der Gebühren wegen nicht aufnehmen, sind nicht zählbar. Die Auswirkungen von gestiegenen ökonomischen Abhängigkeiten in zahlreichen Biografien noch gar nicht absehbar.

Unberücksichtigt bleibt beim BVerfG auch der Kulturwandel, den Studiengebühren als Teil der größten Hochschulreform seit den 1960er Jahren an den deutschen Hochschulen ausgelöst haben. Die gesteigerte „Notwendigkeit“ ein universitäres Studium mit allen Konsequenzen als Investition in die eigene Zukunft zu begreifen, ist dabei, sich in den Köpfen einer ganzen Generation festzusetzen. Die Wirkmächtigkeit dieses „geheimen Lehrplans“ ist das weitreichendste gesellschaftliche Desaster der mit diesem Beschluss andauernden Integration des Bildungswesen in einen neoliberalen Zeitgeist.

zu LiSA
Die Liste der StudiengangsAktiven (LiSA) gründete sich im Jahr 2004 an der Uni Bremen in Folge der bundesweiten Streiks gegen Studiengebühren. Mit ihrer vehementen Ablehnung eines Bezahlstudiums wurde sie von den Studierenden der Bremer Uni nach dem Streik als stärkste Liste in den AStA gewählt. Diesen führte sie bis ins Jahr 2010 an. Im Jahr 2005 initiierte LiSA im AStA das jetzt zu Ende gegangene Klageverfahren und begleitet den Prozess bis zum heutigen Tag.

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